Presseauswahl

 

24/7 NEUE TODSÜNDEN

 

 

Tanztheater mit Livemusik

 

bodytalk und Polski Teatr Tańca in Koproduktion mit

LOFFT – DAS THEATER und Theater im Pumpenhaus

 

TanzTheater mit 16 Performer*innen und Live-Musik

bodytalk in Koproduktion mit Polski Teatr Tanca (Poznan / Polen), Theater im Pumpenhaus (Münster), Lofft – Das Theater (Leipzig)

 

Uraufführung am 23. April 2024 in Poznan zur Eröffnung des Festivals Grenzen der Natur – Grenzen der Kultur (bisher fünf Vorstellungen in Poznan und Leipzig, die erstenVorstellungen in Münster sind am 18. und 19. Oktober 2024

 

 

Pressekurzauswahl

 

vollkommene Extase tanznetz, 4.5.24

 

Tanzdelirium … Phantasmagorie … ein Overkill an Eindrücken Leipziger Volkszeitung, 4.5.24

 

in der für Bodytalk typischen berserkerischen Bilderwelt Kreuzer, Mai 2024

 

Sündiges Licht - Und der Zuschauer erhält keine Absolution Kultura u Podstaw, 25.4.24

 

der Hunger nach etwas Menschlichem ist umso stärker tanzweb, 30.4.24

Der Betrachter erhält keine Absolution…

 

Sündiges Licht

 

Premiere des Polnischen Tanztheaters und „Bodytalk“ mit „24/7 New Sins“ in Poznan markiert die vierte erfolgreiche Zusammenarbeit

 

Rezension von Barbara Kowalewska

(Portal Kultura u Podstaw)

 

 

 Am 23. April 2024 wurde die Bühne des Polnischen Tanztheaters für einen Moment zu einer „Theaterkanzel“, von der aus die Sünden der modernen Welt aufgezeigt wurden. Und der Zuschauer erhält keine Absolution.

 

Dies ist eine weitere Premiere des Polnischen Tanztheaters – im Rahmen der Jubiläumsfeierlichkeiten -, dieses Mal passend zum Thema des diesjährigen Idioms: „Mensch – Objekt“ und der Diskurs über die Objektivierung des Menschen heute. Der Titel der Aufführung, 24/7 New Sins (Choreographie und Regie: Yoshiko Waki, Dramaturgie: Rolf Baumgart), weckt einerseits Assoziationen zum Katechismus der katholischen Kirche, andererseits bezieht er sich auf die Abkürzung „24/7′, die heute in der Geschäftswelt häufig verwendet wird und bedeutet, dass eine Dienstleistung ohne Unterbrechung erbracht wird. Der Begriff erscheint auch im Titel des Buches von Jonathan Crary: „24/7: Late Capitalism and the Ends of Sleep“, in dem der Autor das moderne Wirtschaftssystem kritisiert, das sich unsere Zeit aneignen will, indem es uns unter anderem das Recht auf Schlaf nimmt „und die nutzlosen Minuten, die wir dem Nachdenken und der Kontemplation widmen, eliminiert“. Von welchem ’24/7′ und welchen neuen Sünden wollten uns die Macher der Premierenshow erzählen?

 

 

Kontrollierte Körper

 

 

Die Tänzer bringen ihre natürlichen, aber übertriebenen Rollen des „täglichen Lebens“ auf die Bühne. Sie nehmen sich mit Handys auf und werben für sich als vorbildliche „Dancefluencer“ oder „Infludancer“ („wir sehen gut aus, wir kontrollieren unsere Körper“). Dieses offensichtliche Wortspiel, das auf die Influencer von heute anspielt, mag wie eine langweilige Wiederholung der Warnungen vor zwanghaftem Eintauchen in die sozialen Medien und der Vermarktung der Körper wirken. Allerdings sollte man aus der Tatsache, dass etwas allgemein bekannt ist, nicht schließen, dass es nicht mehr diskussionswürdig ist. Gewohnheit schwächt die Wachsamkeit und hemmt den Handlungsimpuls. Wenn wir noch nicht besorgt genug sind, sei daran erinnert, dass ein Bericht der Stiftung Inspiring Girls Poland, der die Berufswünsche von Mädchen in Polen untersuchte, besorgniserregende Ergebnisse lieferte: Rund 46 Prozent von ihnen wollen in Zukunft Youtuber, Instagrammer oder Tiktoker werden (unterstützt von 12 Prozent ihrer Mütter). Vor diesem Hintergrund wird ein szenischer Blick auf ein scheinbar müdes Thema zu einem dringenden Bedürfnis.

 

 

Das Objekt als Quelle der Emotionen

 

 

Der zeitgenössische Fetisch, das Smartphone, ein Objekt der Begierde und eines der Symbole des Spätkapitalismus, ohne das sich viele das Glück nicht vorstellen können, ermöglicht es jedoch nicht, diesen Zustand zu erreichen, denn, wie Zygmunt Bauman schrieb, „der Markt nährt sich von dem Gefühl des Unglücks, das er selbst erzeugt“. Während im Alltag Mobiltelefone oft Werkzeuge sind, die das persönliche Leben theatralisieren, ist es im Stück genau umgekehrt – Handys werden zu Theaterrequisiten. Anhand der Aktivitäten in den sozialen Medien kann man das ständige und unbefriedigte Bedürfnis nach Aufmerksamkeit erkennen, das zu emotionalen Zuständen führt, die in der Aufführung übertrieben werden: Auf der Bühne werden wir mit dem körperlichen Ausdruck extremer Affekte, körperlicher Erregung, ermüdender emotionaler Untergrabung konfrontiert, die trotz der gewaltsamen Entladungen weiter wächst. Schreie, Schläge, Kämpfe, alles in einer Art Vollrausch, benommen und in höchster Intensität. Es ist kein angenehmes Bild, und doch scheint es, dass der Betrachter diesem quälenden Unbehagen absichtlich ausgesetzt wird.

 

 

Eine postnarrative Welt

 

 

Es ist schwierig, hier von einer logischen Erzählung im traditionellen Sinne zu sprechen. Die Show wird aus Fetzen von Geschichten wie Memes oder Posts zusammengesetzt – alles ist hier temporär. Die unbeholfen aus Schwamm ausgeschnittenen Requisiten (Hagen Keller) betonen die Hässlichkeit, Vergänglichkeit und Schäbigkeit, die vielen Schöpfungen des Internets innewohnen, einschließlich der jetzt idealisierten künstlichen Intelligenz. Es sei daran erinnert, dass „24/7 New Sins“ die vierte Koproduktion des Polnischen Tanztheaters mit dem Künstlerkollektiv Bodytalk ist, das in einer Art „brutalistischen Ästhetik“ kreiert, die sich nicht nur im Ausdruck der Bewegung, sondern auch in der Szenografie widerspiegelt: Requisiten werden als Schrott behandelt, als vorübergehend nur nützliche Objekte. An einer Stelle der Aufführung wird ein riesiger Sack mit Schnipseln des schwammigen Materials, aus dem sie bestehen, von den Tänzern verstreut; die Schwammfragmente erdrücken den Zuschauer mit ihrem Übermaß und gleichzeitig ihrer Überflüssigkeit. In dieser Welt des Überflusses und der Künstlichkeit fehlt die Geschichte, die dem Leben einen Sinn und ein Ziel gibt. Menschliche Körper (die von den Tänzern zu Beginn der Aufführung lächelnd als „kontrolliert“ bezeichnet wurden) mischen sich unter diese Ausschnitte, sterben in Krämpfen, verlieren sich in der Anonymität, ohne jegliche menschliche Dimension. So sterben sterbliche Sünder, aber so stirbt auch etwas anderes – die Welt, die wir kannten und die auf einer Art vernünftigem Fundament zu stehen schien.

 

 

Es gibt kein Licht am Ende des Tunnels

 

 

Als Reaktion auf ein solch dystopisches Bild möchte man protestieren: Das ist doch nicht die einzige Wahrheit über unsere Realität! Das Publikum mag eine Revolte empfinden – wo ist denn da noch Hoffnung? Nicht in Vivaldis Musik, die von störender Elektronik übertönt wird, und auch nicht in der Rachitik-Pflanze, die in einem Wust von künstlichen Gebilden grotesk aussieht und nur für einen Moment existiert. Der Brutalismus übernimmt die Bühne. Aber vielleicht ist das genau der Effekt, den die Macher erreichen wollten – der Hunger nach etwas Menschlichem ist umso stärker, je entmenschlichter, grausamer das Bild wird. Der ergreifendste Moment ist der Schlusseffekt, der mit Hilfe einer Lichtprojektion (Sven Stratmann) aufgebaut wird und die Illusion einer Tunnel- oder Korridorarchitektur erzeugt. Diese optische Täuschung – die ein starkes Gefühl der Klaustrophobie hervorruft und den Betrachter in die digitale Maschine hineinzieht – erinnerte mich an die besondere Architektur des Jüdischen Museums in Berlin, das einen ähnlichen und ebenso starken Eindruck auf mich machte. Die Lichtspiele, die die Performance abschließen, sind nicht das sprichwörtliche Licht am Ende des Tunnels, sondern Strahlen, die von den Bildschirmen elektronischer Geräte ausgehen und uns durchdringen, einengen, überwältigen und ersticken. Die Performance lässt uns ohne Antworten zurück, wie wir damit umgehen sollen – sie ruft uns vielmehr dazu auf, aufzuwachen und Fragen nach der Zukunft des Menschlichen zu stellen angesichts der blinden Bewunderung für digitale Technologie und künstliche Intelligenz, die sich in eine unbekannte Richtung entwickelt.

 

Polnisches Tanztheater und Bodytalk: „24/7 New Sins“, Choreographie und Regie: Yoshiko Waki, Dramaturgie: Rolf Baumgart, Musik: Patryk Pilasiewicz und Collage und Bearbeitung: Antonio Vivaldi, Steve Reich, Andrzej Konieczny, Melanie Martinez, Kostüme und Bühnenbild: Nanako Oizumi, Lichtgestaltung: Timo von der Horst

 

 

Von Barbara Kowalewska|30. April, 2024

 

Fotos 24/7_PTT_bodytalk©Andrzej Grabowski,

 

Gefördert durch das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen und das Kulturamt der Stadt Münster.

 

Project "Dance Odysseys.

Polish Dance Theatre's tour of the world's stages” is co-financed by the Minister of Culture and National Heritage of the Republic of Poland from the Culture Promotion Fund.

Presselangauswahl

 

… Vollkommene Extase, bevor alles im Nebel verschwindet und nur noch das scannende Auge eines

Leuchtturms oder einer KI über die Schemen huscht. „24/7 Neue Todsünden“ nähert sich den digitalen

Abhängigkeiten der Gesellschaft im 21. Jahrhundert. Zunächst ganz ruhig und wohlig. Wie ein blitzender

Schwarm strömt das Ensemble auf die dunkle Bühne, die Taschenlampen an den mitgebrachten

Smartphones glänzen in den Zuschauerraum. Geradezu poetisch. Doch dann platzt ein Oktopus-pus-pus

(Emily Wong in wunderbarem Glitzerkostüm von Nanako Oizumi) in den Abend und verkündet die Geburt

des Infludancers oder Dancefluencers, denn im Grunde seien Tänzer*innen ja perfekt dafür: Sie sehen gut

aus, beherrschen ihren Körper und können sich bewegen. […] Bodytalk und die Tänzer*innen vom Polski

Teatr Tańca liefern hier einen emotional verstörenden Blick darauf, was die permanente Online-Beschallung

mit dem Menschen macht. Eine brachiale Reise durch dieses ewige Sehnen nach mehr, das schließlich in

einem Moment der Ruhe ganz zu sich selbst kommt.

 

tanznetz, 4.5.24

 

 

… war die Deutschlandpremiere eines Tanzstücks zu erleben, das die Bühne gekonnt in ein unterseeisches

Trümmerfeld zu verwandeln verstand. Zu sehen war, was den Unterschied ausmacht zwischen alten und

neuen Sünden: Die mediale Sintflut, dank der wir alle an ihnen partizipieren. Rund um die Uhr, bis zum

wortwörtlichen Untergang. Möglich, dass „24/7 Neue Todsünden“ diesen Untergang auch als Utopie

begreift. […] haben sie ein Tanzstück geschaffen, das die Obsessionen des Digitalzeitalters einem

kulturellen Flashback unterzieht und die Pixel-Sintflut narzisstischer Gegenwartsposen in den Abgrund

atavistischer Reflexe stürzen lässt. […] Tanzdelirium […] Tanz wird zum Kampf, das Singen zum Schreien.

Alles zur Verausgabung. Die Choreographie zur visuellen Phantasmagorie aus Bühnennebel und virtuosen

Hell-Dunkel-Lichtkontrasten. Und durchsetzt mit Video-Projektionen, auf denen sich Fetzen

dokumentarischer Kriegsbilder in Farbabstraktionen auflösen. Ein Overkill an Eindrücken, durch die das

letzte Viertel der Inszenierung gleichwohl mit der aufmerksamen Geschmeidigkeit eines Oktopus gleitet.

Hinweg über das Trümmerfeld menschlicher Sünden und hinein in ein hypnotisches Verdämmern in

Dunkelheit und Stille.

 

Leipziger Volkszeitung, 5.5.24

 

 

… in der für Bodytalk typischen berserkerischen Bilderwelt. Bei allem barocken inhaltlichen Überschwang

sucht auch diese Inszenierung ganz das Heutige. […] energetisch, laut und manchmal auch ein bisschen

rücksichtslos.

 

Kreuzer, Mai 2024

 

Sündiges Licht - Am 23. April 2024 wurde die Bühne des Polnischen Tanztheaters für einen Moment zur

„Theaterkanzel“, von der aus auf die Sünden der modernen Welt hingewiesen wurde. Und der Zuschauer

erhält keine Absolution.

 

Kultura u Podstaw, 25.4.24