Presseauswahl

 

Politics of dancing – bodytalk rockt im „Dock11“

Politics of Dancing – „Ein schwieriges Verhältnis“

 

Premiere des neuen Tanztheater-Stücks „Politics of dancing“ von bodytalk,

gestern Abend im  DOCK 11 am Prenzlauer Berg

 

Nachtkritik von KLAUS KEIL

8. Juli, 2018

 

Turbulent geht es zu auf der Tanzbühne von Dock 11, dem Performance-Space am Berliner Prenzlauer Berg.  Zu Gast mit der Premiere ihres neuen Stückes „Politics of dancing“ ist die Tanztheater-Truppe bodytalk und denen eilt, nicht unverdient, der Ruf voraus, ihre Themen auf den Kopf zu stellen und tüchtig durchzuschütteln, damit man sie wieder „richtig“ wahrnehmen kann. Und in diesem Stück wird – notwendigerweise – reichlich auf den Kopf gestellt. Sogar tänzerisch mit Hip-Hop-Einlagen, Kopfdrehungen und Powermoves.

 

Angefeuert wird das Publikum mit dem Titelsong des Stücks „Politics of dancing“ mit seinen knalligen Beats, mitreißend und bewegungsintensiv. Vom Start weg gehts heftig zur Sache. Doch was macht bloß ein waschechter SPD-Politiker auf der Tanzbühne, der grad zum Sprung auf die Nominierung zur Wahl zum Europäischen Parlament ansetzt? Treibt ausgerechnet bodytalk, das politikkritische Tanztheater par excellence, Wahlkampf? Fake oder Fakt? Ein klassischer Fall von „das Ziel ist im Weg“ kommentiert ein Akteur. Doch wenn man das Ensemble von bodytalk in knallroten SPD-T-Shirts hollywood-like um den erhöht thronenden Politiker drappiert sieht, ahnt man schon die kommenden satirischen Brechungen.

Um die Zuschauer auf diesen schwierigen Parcour zwischen Fiktion und Realität alle mitzunehmen, schwärmen die Akteure, oder besser: Aktivistinnen und Aktivisten aus, um in einer angenehmen Wohlfühl-Bewegungs-Aktion alle auf das disparate Kommende einzustimmen. Hand wird in Hand gelegt, gestreichelt, verschränkt und in Schlangenlinien bewegt, Küsse verschenkt, aber auch Fuß an Fußfläche Widerstand getestet Doch wenn man gedanklich daneben stellt, wie es in der Realpolitik derzeit drunter und drüber geht, wie die Gier einiger politicains nach Macht zum demokratiegefährdenden Selbstzweck wird, muten Dr. Wolfgang Ressmanns politische Visionen einer sozialen, demokratischen Friedenspolitik geradezu utopistisch an. Seine Aktivistentruppe schwenkt die rote Fahne, baut das klassische Gemälde von Delacroix mit der triumphierenden Marianne nach.

 

In der Inszenierung von Yoshiko Waki und Rolf Baumgart begegnen sich Politik und Tanz einmal ganz anders: Beide sind aktive Protagonisten in diesem Stück. So gesehen ist „Politics of dancing“ ein Inklusionsstück, das die selbstbestimmte Teilhabe des Tanzes in der Gesellschaft fordert. Und damit der Politiker (stellvertretend für seine Klasse) die bedeutsame gesellschaftliche Funktion des Tanzes mal körpernah versteht, wird er von den Tänzerinnen und Tänzern in einer provozierenden Körpersprache angetanzt, auf ihm im wahrsten Sinn des Wortes herumgetanzt, wird er verwöhnt und gefordert und ihm bis zur (teilweisen) Entblößung viel zugemutet.

 

Aber  dem Tanz selbst wird ja auch viel abverlangt, wie der Kommentator herausschreit. Da soll der Tanz für sauberes Trinkwasser, für Artenvielfalt, die Besteuerung der Großkonzerne, gegen Bienenmord  und für die Menschenrechte, für Barrierefreiheit und für Altkleider für Afrika tanzen. In der Tat braucht man sich nur mal die Inhalte anzuschauen, die auf der Themenliste vieler Choreografinnen und Choreografen stehen. Und wenn dann eine Tänzerin nach vorn tritt, von ihrem sexuellen Missbrauch als Kind berichtet, bekommt Tanz und Bewegung eine andere, menschliche Dimension. Tanz, so berichtet sie, ist ihre Überlebensstrategie, ihr Widerstand. Was soll da noch die Forderung, man müsse den Tanz  in die Mitte der Gesellschaft bringen und was ist, wenn er dort angekommen ist? Dann, so kommentiert lakonisch einer der Akteure, dann ist aus gesellschaftskritischem Tanz Gesellschaftstanz geworden.

 

Mit „Politics of dancing“ greifen Yosiko Waki und Rolf Baumgart wieder mal ein Thema auf, das andere meiden. Und vor allem erkennen sie mit einem überraschenden Spürsinn gesellschaftliche Ver- und Entwicklungen, die an die Oberfläche zu holen, gesellschaftlich wichtig erscheint.  „Politicis of dancing“ ist großartiges Tanztheater, das sich mit vielen kleinen mal komischen, mal polemischen Szenen, Schritt für Schritt, seinem Kern nähert, dem schwierigen Verhältnis zwischen Politik und Tanz nachzuforschen und dabei den Menschen als Akteur, Politiker, Zuschauer (und -innen im Blick zu behalten. Deshalb ist diese Inszenierung auch keine Performance, sondern in bodytalk-Sprech eine Performensch. Eine Choreografin oder Choreografen hat dieses Stück nicht. Es ist gemeinsam mit den Tänzerinnen und Tänzern entstanden, die das gemeinsame Anliegen in Tanz und Bewegung mit enormen körperlichen Einsatz sichtbar gemacht haben und deshalb unbedingt hier genannt werden müssen: Charlotte Goesaert, Elina Pohjonen, Jost op den Winkel, Kai Bosch, Martijn Joling, Tim Gerhards und last but not least the politicain Wolfgang Ressmann.

 

Klaus Keil, tanzweb, 8.7.2018

Nimmt Politik Einfluss auf Tanz, ist Tanzen politisch? Die Gruppe bodytalk interpretiert diese

Fragen im Dock 11 spielerisch. Dass bei diesem Stück die körperliche Unversehrtheit aller

Beteiligten garantiert ist, sollte vielleicht dazugesagt werden. Als Zuschauende kann man da

Zweifel bekommen. Es wird gekrabbelt und geknebelt, ausgepeitscht und geschubst.

Dazwischen gibt es Zärtlichkeit, aber bestimmend ist die Wut.

 

[…] und nutzen Fußknöchel aus dem Publikum als Ankerpunkte ihrer Tanzbewegungen. So weit,

so schrill, so gewöhnungsbedürftig. […] Eine in Bewegung und Lautstärke aggressive Szene zeigt

vor allem, wo die körperliche Bewegung ihre Grenzen hat: „Tanz gegen den Klimawandel, Tanz für Mülltrennung, Tanz für mehr Frauen in Führungspositionen“ wird geschrien und steht im schönen Kontrast zu Wolfgang Ressmanns warmen Worten: „Die Sprache des Tanzens ist international und repräsentiert die positive Seite der Globalisierung.“

 

taz, 9.7.2018